Die löblichen Älplerbruderschaften der Innerschweiz haben das Fahnenschwingen in ihren Kreisen stets gepflegt und uns somit in alter Überlieferung rein erhalten. In ihren Älplerrat wählen sie jedes Jahr aus der Mitte der Bruderschaft ihre Beamten, so auch den ersten und zweiten Fähnrich. Der zweite Fähnrich wird dann im nächsten Jahr Vorfähnrich und hat für einen geeigneten Nachfolger zu sorgen. Ihm obliegt es auch, den erkorenen jungen Bergler als neuen kommenden Nachfähnrich in die auf mündlicher Überlieferung beruhenden, ungeschriebenen Gesetze der Kunst des Fahnenschwingens einzuführen. Durch diese weise Anordnung bleibt uns das heimatliche Fahnenspiel lückenlos erhalten. Das Fahnenschwingen verlangt in allererster Linie sehr viel Liebe zur Sache, eine zähe Ausdauer und grosse Geschicklichkeit und Geduld. Hauptsächlich droben im Berg, in stiller Abgeschiedenheit, erlernt der junge Älplerfahnenschwinger zuerst die altüberlieferten, bildschönen und bedeutungsvollen Bekenntnis-Schwünge.



Der Anschwung, auch Kopfschwung genannt, mit dem jeweils die Darbietungen eröffnet werden, wird wie folgt ausgeführt: Die Fahne wird wenig über dem Kopf in fliessendem waagrechtem Schwingen in Kreisform von rechts nach links gezogen, um dann in die linke Hand hinüber zu wechseln. Der Fahnenschwinger bekennt sich zur Fahne und segnet sich damit, um ihrer würdig zu sein. Beim Daumenschwung wird mit der rechten Hand die Fahne von unten herauf um den gestreckten linken Daumen gedreht und links gehalten. Hier steht der Schwingende hinter der Fahne; er zeigt dem Zuschauer in schöner Kreisform das Fahnenbild und erinnert ihn an seine Zugehörigkeit. Bei den Abschwüngen hingegen (es gibt verschiedene Varianten) umschwingt er den Körper vom Haupt bis an die Hüfte. Hier zeigt er sich als freier Mann. Die Fahne zieht einen Wall um ihn, das Zeichen von Wehrhaftigkeit und Trutz. Anders deutet man den waagrechten Kocher. Den Fahnengriff am Hosensack, dreht er eine Welle vorwärts und zurück. Damit verscheucht er alle Unbill und bösen Geister von sich, um der Fahne würdig zu sein. Der hohe Aufwurf bedeutet wilde Freiheit, Freude am Erreichten und gilt als Siegeszeichen. Die Fahne wird senkrecht emporgestochen und muß ohne Drehung in die Wurfhand zurückfliegen. Dieser »Stich« darf wohl als Ursprung des Fahnenschwingens angesehen werden.

 

Je nach erreichter Geschicklichkeit lernt dann der junge »Fähnler« immer mehr neue Schwünge und Würfe hinzu. Diese werden in verschiedene Unterstufen eingeteilt. Wir benennen sie: Unter- und Beinschwünge, Hand- und Leibschwünge, Stecher und Länder, An- und Abschwünge, Dächli und Teller, Doppeldächli sowie Rücken- und Hochschwünge. Die verschiedenen Einzelschwünge müssen dann zu gefälligen  Übungsteilen verflochten werden und rechts wie links genau gleich ausgeführt sein. Die vielgestaltige Gebirgslandschaft mit ihren bizarren Formen, schroffen Zinnen, tiefen Tälern, saftgrünen Hängen und blauen Bergseen weist ihm den richtigen Weg. Je abwechslungsreicher eine Darbietung zusammengestellt ist, um so eindrucksvoller wirkt das Gesamtbild. Es ist dies die dankbarste Aufgabe für den Fahnenschwinger.


Die Älplerchilbi, das Dankfest der Älpler, bietet dem jungen »Fähnler« Gelegenheit, im ehrenvollen Amt als Nachfähnrich seine neuerlernte Kunst zu zeigen. Diese »Chilwenen« sind urkundlich erst im Jahre 1624 in der Schwendi ob Sarnen und 1638 in Beckenried (Bergenriedt) nachgewiesen, dürften aber ältern Ursprungs sein. In schmucker Tracht, den glitzernden Maien am Hut und den Rosmarinzweig im Mund, je nach örtlicher Gepflogenheit mit einer rotweissen Seidenschärpe angetan, tritt der Fähnrich in den Ring. Dieser wird von der Bruderschaft und dem vielen hergezogenen Volk gebildet. Hell leuchtet die blutrote Fahnenseide in der goldenen Herbstsonne, und der Fähnrich erfreut jung und alt mit seiner großen Geschicklichkeit im bodenständigen Spiel.