Mit dem Aufschwung des Fremdenverkehrs und dem grossen Interesse der ausländischen Gäste für unsere ureigenen Älplerspiele wurde der Weiterentwicklung unserer Volksbräuche Vorschub geleistet. Mit kühnem Weitblick und in der berechtigten Sorge um die Reinerhaltung dieser heimatlichen Bräuche haben sich einige beherzte Männer zusammengetan, um die edlen Hirtenspiele in ihrer uralten Form zu erhalten. In der Folge wurde am 8. Mai 1910 die schweizerische Jodlervereinigung gegründet, um dem Jodeln, Alphornblasen und Fahnenschwingen Richtlinien und moralische Stütze zu geben. So legte man den Grundstein zum heute mächtig erstarkten Eidgenössischen Jodlerverband (EJV) und seinen fünf Unterverbänden.

 

Gefördert durch diese Entwicklung und die durch die Schweizerische Trachtenvereinigung veranstalteten

farbenfrohen Trachtenfeste, wurde das Fahnenschwingen immer mehr verbreitet und der Öffentlichkeit vertraut gemacht. Es ist leicht begreiflich, dass sich zu Stadt und Land immer mehr begeisterte Anhänger für dieses althergebrachte Fahnenspiel interessierten und mit vorbildlichem Eifer im Fahnenschwingen übten. In Kursen und freiwilligen Fahnenschwingertreffen werden sie nach dem vom EJV aufgestellten Festreglement von bewährten Leitern geschult. Alle drei Jahre findet ein Eidgenössisches Jodlerfest statt; in der Zwischenzeit organisieren die Unterverbände eigene Verbandsfeste.



Die Fahnenschwinger bilden den kleinsten Unterverband im Eidgenössischen Jodlerverband, und gelten als letzte rein männliche Folklore-Bastion. Das beruht nicht etwa auf Frauenfeindlichkeit, sondern auf den strengen «Tenuvorschriften», wonach wettkampfmässiges Fahnenschwingen nur in offizieller Trachtenbekleidung ausgeübt werden darf. Bei der Vielzahl von sogenannten «Unterschwüngen» wären nach Ansicht der zuständigen Fachleute flatternde Trachtenröcke sicherlich hinderlich.

Die Delegiertenversammlung beschliesst, ob die Beurteilung nach Rang oder Klasse zu erfolgen hat. Die

Jury wird aus bestbewährten Fahnenschwingern der Schweiz bestellt und durch seinen Obmann nach genau festgelegten Richtlinien eingearbeitet. Ehrentitel wie Schweizer Meister, Fahnenschwinger-König oder gar Olympia-Fahnenschwinger werden mit Entrüstung abgelehnt.

 

Die grosse Entwicklung und Zusammenarbeit hat viele wesentliche Verbesserungen erreicht und einige Vorschriften vereinfacht. Die schwere blutrote Älplerfahne, die geschichtlich bis in die Zeit des römischen Kaisers Konstantin in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts zurückreicht, wurde durch eine hellrote, unbeschwerte Schärpenseide ersetzt und mit einem eleganten konischen Fahnenstock verbessert. Da die politische Entwicklung das »Rot« zu einer Parteifarbe stempelte, wurde immer mehr der Schweizerfahne der Vorzug gegeben. Technisch sind wir heute dem Älplerfahnenschwingen eine erhebliche Stufe voraus, allein die Art und Grundlage ist dieselbe, und wir schwingen mit der gleichen vaterländischen Begeisterung.

 

Was für Festbesucher an folkloristischen Veranstaltungen oft so leicht und «zufällig» aussieht, ist in Tat und Wahrheit eine endlos eingeübte Auswahl von über 90 reglementierten Schwüngen. Die Namen der einzelnen Figuren stammen meist aus einer Gegend in der das Fahnenschwingen eine grosse Tradition hat. Als eigentliche Hochburg gilt dabei die Innerschweiz. «Pilatusstich» nennt man beispielsweise einen attraktiven Hochschwung.

 

Ein Wertungsvortrag dauert drei Minuten und endet mit dem Haltruf der vierköpfigen Jury. Dabei steht der

Fahnenschwinger in einem markierten Kreis, welcher aus dem Richtkreis (60 cm) und dem äusseren Richtkreis (150 cm) besteht. Gut benotet wird der Gesamteindruck, wenn die Fahne sicher und in ruhigem, gleichmässigem Tempo geschwungen wird. Neben dem Einzelvortrag besteht an Wettkämpfen auch die Möglichkeit, zusammen mit einem Partner, als Duett anzutreten.



Am Anfang benötigt es schon eine enorme Geduld und manche Schweissperle bis die geforderten Schwünge technisch einwandfrei beherrscht werden. Das Hobby kann auch als eine Art athletisches Jonglieren bezeichnet werden. Geübt wird normalerweise einmal wöchentlich. Wichtig ist auch eine gezielte Nachwuchsförderung, was aber angesichts der Vielzahl von trendigen Alternativangeboten, trotz speziell handlicher Fähnchen nicht so leicht ist. Erwähnenswert ist die gute Kameradschaft, welche die Fahnenschwinger jeweils auch neben ihren folkloristischen Auftritten pflegen.

Für das eidgenössische Fahnenschwingen sind nur Schweizer- und Kantonsfahnen mit offizieller Heraldik

zulässig. Die Fahne ist aus reiner Seide oder Kunstseide. Das Mass beträgt 120 cm im Quadrat. Für die Fahnenstange bestehen keine Vorschriften. Ideal ist eine Länge von 150 cm und einem Griffdurchmesser von 3 cm. Die Fahnenstange wiegt zwischen 500 und 700 g, die Fahnenseide ca. 150 g. Ein schön gefertigtes Seidenexemplar kostet zwischen 1000 und 2500 Franken. Zum Auftritt des Fahnenschwingers gehört auch eine saubere und korrekte Tracht.